Auf Brechts Frage aus der Dreigroschen-Oper gibt es der Statistik nach eine ganz klare Antwort: Eine ziemlich blöde Idee. Über den Mythos Raubüberfall. von Magda Hiller
Geburtstag mit Wiesel
Man kann seinen 34. Geburtstag auf ganz verschiedene Arten begehen: Kim Kardashian etwa entschloss sich anno 2014 für eine Geburtstagsfeier in Las Vegas. Am Gabentisch wartete eine von Töchterchen North West eigenhändig mit Ölfarben verzierte Hèrmes-Tasche. Ronald “Ronnie” Biggs hatte etwas andere Pläne für seinen Festtag. Gemeinsam mit 13 Kumpanen, die so klingende Namen wie Charlie “Der Schweiger” Wilson und Roy “Das Wiesel” James trugen, beging er am 8. August 1968 einen der größten Raubüberfälle der Geschichte. Ziel war ein schlecht gesicherter Geldtransport der Royal Post. Bahnsignale manipuliert, Lokführer k.o. geschlagen und schon war die Bande um umgerechnet geschmeidige 62 Millionen Euro reicher, schön aufgeteilt auf 122 Leinensäcke.
O tempora o mores!
Seit dem August 1968 hat sich viel geändert: Verbrecher tragen keine bildhaften Zwischennamen mehr, dafür stehen Kompasse Namenspate für Rapperkinder. Und der Durchschnittsverdienst von Reality Stars hat den von Bank- und Zugräubern längst überholt. Kim Kardashian verdiente im Jahre 2015 um die 48 Millionen Euro – und musste ihr Salär weder mit Wieseln noch mit Schweigern teilen.
Freunde für Banküberfall gesucht
Auch das Klischee vom friedlichen Leben in der Karibik nach dem ganz großen Coup entspricht nicht ganz der Realität. 2012 zeigten Volkswirte an der Universität Sussex wie prekär die Arbeitsverhältnisse für Bankräuber sind. Durchschnittlich beträgt der Ertrag pro Person und Überfall magere 12.700 Pfund (ca.15.000 Euro) – knapp die Hälfte eines durchschnittlichen Jahresgehalts. Wenn denn überhaupt etwas erbeutet wird, denn ein Drittel alle Überfälle enden ohne einen einzigen Geldschein in der Tasche. Studienleiter Barry Reilly rät dazu, sich (bewaffnete) Freunde zu suchen: Jeder Beteiligte steigert den Ertrag statistisch um 9000 Pfund. Waffenverwendung gar um 10.000 Pfund! Die Strafen für bewaffneten Raubüberfall liegen allerdings auch empfindlich höher, also nichts für Feiglinge. Die sollten aber überhaupt die Finger von diesem Gewerbe lassen: Die Aufklärungsrate im UK liegt seit Jahren konstant bei 80%. Wer diesen Karriereweg einschlagen will um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, der sollte sich also ein bisschen mit Zahlen auskennen – so oder so: Um sich einen durchschnittlichen Lebensstil finanzieren zu können, muss man zwei Banken pro Jahr ausrauben – jeweils mit einer 80%igen Wahrscheinlichkeit geschnappt zu werden. Die Statistik spricht für eine kurze Karriere: Nach zwei Jahren ist man zu 60% hinter Gittern.
Großes Risiko wegen kleinem Glücksspiel
Noch bitterer sieht es in Österreich aus: Jeder der 63 im Jahre 2014 hierzulande begangenen Banküberfälle wurde aufgeklärt. Ertragschancen und Risiko stehen in einem ziemlichen Missverhältnis. Trotzdem scheint für viele kein Weg daran vorbeizuführen: 98% aller Bankräuber geben als eines ihrer Motive ihre Spielsucht und daraus resultierende Schulden an. Und hier kommt der einzige Vorteil dieses harten Gewerbes: Es ist wenig kapitalintensiv. Eine blickdichte Strumpfhose gibt es schon um 2 Euro. Teure Bewaffnung ist angesichts der hohen Aufklärungsrate sowieso nicht unbedingt zu empfehlen: Sie erhöht die Strafandrohung gleich von 10 auf 15 Jahren.
Mach´s wie Bernie
Es gibt andere Verbrechen die sich viel mehr lohnen, vorausgesetzt man hat einen guten Weg gefunden das Geld reinzuwaschen. Auf Steuerhinterziehung von Beträgen über 500.000 Euro stehen beispielsweise maximal 10 Jahren hinter Gittern. Ein riesengroßes Finanz-Schneeballsystem aufzuziehen und einen Schaden von 65 Milliarden Euro anzurichten, läuft unter “schwerer gewerbsmäßiger Betrug” und darauf stehen maximal 5 Jahre. In Österreich werden Strafandrohungen ähnlicher Delikte nämlich nicht aufaddiert – im Gegensatz zu den USA, wo Bernie Madoff für sein Tun ganze 150 Jahre Haft ausgefasst hat. Klingt viel – aber sogar für den unrealistischen Fall, dass der Gute seine ganze Strafe absitzen muss, büßt er somit pro Tag einen Schaden von knapp zwei Millionen Euro ab. Kein schlechter Schnitt!
Die Häfn-Hegemonie
Sogar im Häfn klafft demnach die Einkommensschere der Zweiklassengesellschaft weit auseinander – die Ratio Verdienst/Freiheitsentzug ist für einen Finanzbetrüger weit besser als für Kleinkriminelle. Für gewerbsmäßiges Drogendealen sitzt man hierzulande etwas bis zu drei Jahre ein, in den USA in einigen Bundesstaaten sogar lebenslänglich. Manche der verurteilten kleinen Fische, die nur ein bisschen Crack dealen ziehen überhaupt direkt vom Kinderzimmer in den Hochsicherheitstrakt: Der Stundenlohn am unteren Ende der Verchecker-Hackordnung beträgt nämlich nur um die 4 Dollar – darum gibt´s kein Penthouse im ersten Bezirk.
I left my face in Paris
Ein paar Gemeinsamkeiten gibt es übrigens doch noch zwischen Ronald Biggs und Kim Kardashian. Beide haben zum Beispiel ein bisschen zu viel an ihren Gesichtern rumschnitzen lassen. Bei Kim Kardashian gehört das zum Geschäftmodell. Bei Ronnie Biggs irgendwie auch. Ein Jahr nachdem er für seine Beteiligung am “Great Train Robbery” 30 Jahre Haft ausgefasst hatte, verließ er das Gefängnis in bester Bankräubermanier: Mit einer Strickleiter über die Gefängnismauer. Dann ging es ab nach Paris (da fährt Kim übrigens auch gerne zum Botox-Doktor) wo fast ein Drittels seines Anteils von 143.000 Pfund in die Veränderung seiner Gesichtszüge investierte. Ein weiteres Drittel kosteten ihn die Schlepper die ihn über den Ärmelkanal brachten. Als er sich 1970 endgültig in Brasilien niederließ, war das Geldbörsel leer. Und der Überfall an sich somit ein Nullsummenspiel.
Grillparty mit Schwerverbrecher und Blitzkrieg
Obwohl er in Brasilien aufgrund eines fehlenden Auslieferungsabkommens mit Großbritannien sicher war, durfte er als registrierter Verbrecher weder angestellt werden, noch öffentliche Restaurants besuchen oder nach 22 Uhr das Haus verlassen. Ronnie hatte nichts mehr in petto außer ein paar ziemlich guten Geschichten – und diese begann er gnadenlos auszuschlachten.
Er gründete einen Souvenirshop mit Ronnie-Memorabilia in seinem Haus in Rio de Janeiro. Zum großen Verkaufsschlager wurde das T-Shirt mit der Aufschrift „I know someone who went to Brazil and met Ronnie Biggs…honest!” Für wohlfeile 65 Dollar konnte man mit Ronnie und seinem Dobermann Blitzkrieg frühstücken. Laut dem Lonely Planet von 1998 ein absolutes Must-See. Auch die Popkultur wollte ihr Stücken des Gentlemen-Ganoven – so fand Ronnie Biggs Stimme ihrer Weg auf Alben von den Sex Pistols und den Toten Hosen.
Tote Hose in Rio
Der Auftritt im Video zu “Carnival in Rio” der Toten Hosen ist ein Zeugnis dafür, dass sich Ronnie für kaum etwas zu schade war: Im “AdiHASH”-T-Shirt gibt er den Vater der Krawallpunker und hüpft mit ihnen durch das sonnige Rio. Das Bittere daran: Seinen Lebensabend verbrachte Ronnie dann trotz all des prominenten Besuchs doch noch im Gefängnis. Von mehreren Schlaganfällen schwer geschwächt, kehrte der mittlerweile 72jährige aus medizinischen und finanziellen Gründen in sein Heimatland zurück, wo er direkt hinter Gitter gebracht wurde, um die verbleibenden 28 Jahre seiner Strafe abzubüßen. Es wurden nur noch acht Jahre. Vier Jahre vor seinem Tod wurde die lebende Legende begnadigt und verbrachte die Zeit bis zu seinem Tod 2013 im Pflegeheim. Ronnie Biggs war zwar kein guter Bankräuber, aber ein gefinkelter Selbstvermarkter.
Die Erfinder des Advertorials
Die Meister in dieser Disziplin werden wohl auf immer das Gangsterpärchen Bonnie Elizabeth Parker und Clyde Chestnut Brown bleiben. Ihre kriminellen Erfolge Anfang der 30er Jahre müssen als mäßig bezeichnet werden – ihre durchschnittliche Raubbeute beim Überfall auf Banken, Tankstellen und Wechselstuben betrug 80 Dollar – was schon zu Zeiten der Wirtschaftskrise nicht viel war. Aber sie beherrschten das Spiel mit den Medien perfekt. Den Zeitungen wurden Bilder zugespielt, die das Bild des freiheitsliebenden, skrupellosen Gangsterpärchens am Rande der Gesellschaft perfekt illustrierten: Bonnie vor dem gemeinsamen Fluchtauto mit geschürzten Lippen und angrifflustigem Blick. Clyde, der Bonnie auf den Armen trägt. Bonnie, die Clyde eine Flinte gegen den Bauch drückt, während sie ihn küssend an sich zieht. Zusätzlilch verfasste Bonnie selbst-referenzielle Gedichte, die das Bild der tollkühen Outlaws noch weiter schärften. Der Hype ging so weit, dass Ford einen Brief fälschte, in welchem Clyde eine Lobeshymne auf eine neues Automodell sang. Das ist die Tragik des Lebens: Clyde war nicht gerade in der Position, um Herrn Ford gerichtlich zu belangen. Wobei das eventuell endlich lukrativ gewesen wäre.
Den tragische Abschluss ihrer Karriere und ihres Lebens hätten die beiden aber wohl lieber anders choreographiert: In einen Hinterhalt gelockt, wurden sie am 23. Mai 1934 von 167 Kugeln durchsiebt.
Heute wären die beiden eher Gründer einen Branding Agentur. Eine spannende Story zahlt sich schließlich viel mehr aus, als das perfekte Verbrechen.