Die Diktatour

Das Ambassad-Orchester, vor 20 Jahren von Michi und Alexander Kaspar gegründet, spielte schon in Lybien und Nordkorea. Explodiert ist ihr Flugzeug aber erst in Urugay.

Man muss ja  nicht gleich ein großer Menschenfreund sein, nur weil man ein bekannter Kunstfreund ist. Nero, Hitler, Odin, um nur einige zu nennen. Insofern hätte Michael B. schon allein aus dem historischen Naheverhältnis von Irr- und Kunstsinn aufmerksam werden können, als Freitag Nachmittag sein Telefon läutet.

Freitag Abend

Über die Agentur von Drei Tenören-Tenor Carreras wird das Ambassad-Orchester für ein Konzert engagiert. Schnell muss es gehen, bis Sonntag müssen die Pässe aller Musiker eingescannt werden, am Donnerstag soll schon gespielt werden. Wo, weiß man nicht genau (auf jeden Fall nicht in Amerika oder Israel, aus beiden Ländern darf nämlich kein Stempel im Pass sein).

Wie viel das Orchester kosten würde, wird Michi gefragt. Er nennt eine Zahl. Man akzeptiert sofort. DAs passiert in einem durchschnittlichen Musikerleben natürlich ungefähr Null mal. Außer, man hat einen Auftraggeber wie diesen hier: Die U fucking NO.

Und ich weiß nicht, aber mir machen Menschen in Uniformen ja noch immer automatisch ein etwas schlechtes Gewissen, obwohl ich mittlerweile sogar GIS zahle. Vielleicht lag es ja auch daran, dass Michi ohne langes Rückfragen gleich eingewilligt hat, bei einem so genannten „Friedenskonzert“ der UNO mitzumachen. Noch vom Rad aus organisiert er 60 Musiker, die ein Woche später zum Konzert aufbrechen können.

Wenige Stunden später ist das Geld überwiesen, der Deal perfekt, ein Rückzieher unmöglich. Und das Ziel bekannt: Lybien, Gastgeber Muammar Al Gaddafi. Der Mann also, dem man seinen gewaltigen Vogel noch durch die verspiegelten Sonnnebrillen ansieht, und der mit Frieden ähnlich viel zu tun hat wie Robert Lugar mit einer guten Idee.

Das Konzert

In Lybien werden die Musiker mit einem Bus vom Hotel abgeholt. Als alle sitzen, erfährt der Busfahrer, wo er eigentlich hinfahren soll. Zum Gaddafi heim. Stille. Plötzlich steht er auf er auf,  öffnet die Tür, springt hinaus, rennt davon und verschwindet zwischen den Autos. Er kommt nicht wieder. Zurück bleibt ein Orchester in einem führerlosen Bus, das sich langsam fragt, ob es so toll vielleicht nicht sein wird, wo sie da hinmüssen. Nach einer halben Stunde kommt ein neuer Busfahrer. Auf gehts ins Hauptquartier! Yeah.

Bevor sie ins Hauptquartier Gaddafis dürfen, müssen sie freilich erst durch einen Sicherheitscheck. Einen gründlichen Sicherheitscheck. Das Problem: Die meisten Instrumente scheinen die Sicherheitsleute an den Toren zur Residenz eher nicht zu kennen. Das Einzige, was ihnen zu einer Trompete einfällt, ist ihre offensichtliche Ähnlichkeit mit einem Gewehr. Also bauen sie die Trompeten auseinander. Man weiß ja nie! Wer in seinem Leben schon einmal was „reparieren“ wollte, weiß, dass das Zusammenbauen oft der noch heiklere Teil ist. Das lassen sie also gleich bleiben.

20 Minuten brauchen sie so pro absurder Performance. Die Musiker beginnen zu rechnen. Die Rechnung geht so: Wenn die mein Instrument auch auseinanderschrauben und gleich lang für alle 60 Leute brauchen, dann sind wir mit dem Sicherheitscheck fertig, wenn das Konzert schon wieder vorbei ist. Als einer der Musiker deswegen kurz auszuckt, beruhigen ihn die Beamten. Nach dem Motto, du kannst dich jetzt natürlich sehr gerne aufpudeln, wir können dafür auch sehr gerne deinen Pass nicht zurückgeben.

Aber auch die Sicherheitsleute merken, dass das zu lange dauert. Gottseidank haben sie eine überhaupt nicht verrückte Lösung finden können: Sie holen die Magnettore vom Flughafen, karren sie vor die Residenz und lassen die Musiker durch die Magnettore durchgehen. Dass das bei Trompeten natürlich auch nichts hilft – geschenkt.

Mitten in der Anlage steht Gaddafis zerbombtes Haus, davor ist die Bühne aufgebaut. Dort ist bei einem NATO-Angriff einer seiner Söhne ums Leben gekommen. Die Ruinen blieben seitdem unangetastet stehen. Für dieses Konzert sind sie sogar extra geschmückt worden: Als Dekoration ließ Gaddafi ein Plakat anbringen, auf dem eine mächtige Hand ein Flugzeug zerdrückt. Weil es aber, wie gesagt, ein Friedenskonzert gewesen ist, das zerbombte Haus durchaus in einer gewissen Beziehung zu „Lockerbie“, einem lybischen Anschlag auf ein amerikanisches Flugzeug ,steht, musste de Dekoration fürs Fernsehen abgenommen werden. Dann waren endlich alle Probleme beseitigt.

Das Friedenskonzert selbst: sehr schön.

Kim jon Il watching at things. and at foreign visitors.

Kim jon Il watching at things. and at foreign visitors.

Geliebte Kims

Nach Nordkorea fährt nur eine sechsköpfige Delegation des Ambassad-Orchesters zu einem Friendship Art – Festival. Ein einwöchiges Spektakel, zu dem der alte Kim über 700 KünstlerInnen aus der ganzen Welt eingeladen hat.

Am Flughafen werden sie in einem geradezu skandinavischen Betreuungsverhältnis abgeholt: vier Betreuer kümmern sich um das Wohlbefinden (der sechs Gäste) und das Image (des Landes). Handys und Pässe gibt man schon am Flughafen ab. Repression mit menschlichem Antlitz: die Handys werden in feine Samttäschchen gesteckt, die die sechs bei ihrer Abreise wieder zurückbekommen. Dafür weichen die vier Begleiter nicht mehr von ihrer Seite.

Untergebracht sind sie in einem schönen Hotel mit Casino, Pool und Spieltischen. Die Position des Hotels erinnert, erzählen sie, dafür an den äußersten Zipfel der Donauinsel. Sprich, man kommt von dort ohne Auto nicht weg.
Wofür sollten sie aber auch? Ihre Betreuer haben sich ohnehin ein spezielles Bespaßungsprogramm einfallen lassen: Sie werden gemeinsam mit den anderen KünstlerInnen in eine Sporthalle gekarrt, wo sie einem Spektakel beiwohnen dürfen. Und mit Spektakel meinen wir Absurdität, mit beiwohnen mitmachen und mit dürfen müssen. Kurz, sie bekommen rote und blaue Kappen, werden so in zwei Teams eingeteilt, und müssen bei Spielen mitmachen, die die Roten Falken vor 40 Jahren auch nicht besser hinbekommen hätten: Hunderte Musikerinnen und Musiker müssen plötzlich Seilziehen, einen Ballon auf Zeit balancieren, in Kartoffelsäcken um die Wette hüpfen. Das Ganze wird angeblich im Staatsfernsehen live übertragen. Man wusste nicht, wer sich gerade über wen lustig macht.

Immer wieder fragen ihre vier Betreuer, was sie eigentlich genau spielen werden. Irgendeine Polka, geben sie zur Antwort. Schließlich wird ihnen eine Urkunde im schönste Kommunisten-Design überreicht. Das goldene Nordkorea-Diplom für Independence, Peace & Friendship für „Polka“.

Mit der Zeit werden die Gespräche mit ihren freundlichen Führern vertrauter. Klar, sie lieben Pjöngjang, von wegen beste Stadt, bester Führer, bestes Alles. Sie interessieren sich dennoch für den Rest der Welt: Gibt es, zum Beispiel, Hitlerdeutschland noch?
Unser Sextett verneint, bekommt dafür die Handys aus den Samttäschchen zurück und verlässt  völlig unbeschadet das beste Land von allen.

Bei einer Tour durch Südamerika allerdings kommen sie nur knapp wieder heim. Dafür in einem neuen Flugzeug.
Das war so:  Ihr Flieger landet. Das Orchester steigt aus. Der FlIeger explodiert. Weil die Musiker zu dem Zeitpunkt schon im Bus auf dem Weg zum Konzert waren, bekommen sie von alldem gar nichts mit. Am Abend spielen sie ihr Konzert. Business as usual.

Lügenpresse

Am nächsten Tag bringt der „El Telegrafo“ beide Ereignisse, Explosion und Konzert, auf die Titelseite der Zeitung. „Flugzeug eines Wiener Orchesters am Flughafen explodiert“, heißt es im großen Aufmacher Zeitung. „Schönes Konzert eines Wiener Orchesters“ im unteren Teil. Lustig: Ihr Manager bringt ihnen die Zeitung. Klar, um sie nicht zu beunruhigen, nur den unteren Teil. Muss man sich auch mal trauen: „Schaut mal, was für eine gute Pressearbeit wir haben! (aber blättert halt nicht um).“

Zweimal Titelseite! Yeah.

Zweimal Titelseite! Yeah.

Nachdem die Behörden zumindest am Anfang von einem Anschlag ausgegenagen sind, haben die MusikerInnen dann Polizeischutz bekommen. Und der gute Mann hätte den Artikel über den möglichen Anschlag gar nicht mit seiner Hand verdecken müssen, als er dem Orchester zeigen wollte, wie toll die Presse auf ihre Tour angesprungen ist.

Wie ähnlich und doch unterschiedlich „unter Polizeischutz stehen“ und „in polizeilichem Gewahrsam sein“ ist, hat ein Mitglied des Orchesters dann übrigens noch am eigenen Leib erfahren dürfen. Das war  allerdings 1.) nur ein Missverständnis und ist 2.) eine andere Geschichte. Auf jeden Fall finden manche das Umfeld von klassischer Musik ja eher fad. Angesichts des Ambassad-Orchesters: not so much.