Ach, du heilige Scheiße!

Aberglaube und Sport gehören zusammen. Das führt mitunter zu einseitiger Ernährung, gepuderten Schlägern und Selfies auf der Kloschüssel. Tja – und manchmal hilft’s auch.

von Manfred Gram

 

Ist er nicht völlig lebensmüde, neigt der Mensch dazu, sein Leben zu schützen. Der Überlebenstrieb schafft freilich mitunter Widersprüche. Insbesondere, wenn der Wettkampfgeist geweckt wird und Adrenalin oder andere körpereigene Hormone im Spiel sind. Dann haut man sich im Wingsuit Felsen runter oder fährt mit 130 km/h über pickelharte Skihänge talwärts. Das ist gefährlich, deswegen hat man nicht selten dabei irgendwo einen Talismann versteckt. Ein Hasenpfötchen in der Unterhose oder ein Bild vom Papst in der Brusttasche sollen dann gröberes Unglück abwenden. Nur selten geraten Aberglaube und Ruhmsucht schöner aneinander als beim Sport.

Das Lustige dabei: Es hilft. Denn im Dunstkreis von Self Fulfilling Prophecy, Placebo und Selbstwirksamkeitsüberzeugung wird durch absurdes Verhalten, das als glücksbringend erkannt wurde, die Zuversicht in die eigene Leistung gestärkt. Oder weniger geschwollen: Irrationaler, grenzenloser Optimismus beseitigt Selbstzweifel und Logik. Den Weg dorthin ebnen durchaus kreative Ausgeburten des Mentalen, hart an der Grenze zur Zwangsneurose, doch was tut man nicht alles für ein wenig Glück, Glanz und Gloria.

 

Jason Terry:

Basketballer Jason Terry, ein verlässlicher Dreipunkte-Lieferant im Dienste der Houston Rockets, hat gleich mehrere schräge Verhaltensmuster vor Spielen. Am Speiseplan vor einem Wettkampf steht immer Huhn und während dem Match trägt er fünf Paar Socken. Richtig interessant wird es aber in der Nacht vor einem Spiel. Da schläft Terry nämlich immer in den Shorts der jeweiligen Gegner vom nächsten Tag. Es müssen aber – das kommt erschwerend hinzu – Hosen sein, die tatsächlich schon einmal in einem Spiel getragen worden sind. Also nichts aus dem Fanshop. Terry hat sich dafür über die Jahre ein Netzwerk an milde gestimmten Gegenspielern und Zeugwarten erarbeitet, die seinen Spleen befeuern und unterstützen.

 

Per-Eric “Pelle” Lindbergh: 

Der Schweden, der sich bei den Philadelphia Flyers verdingte, war ein Ausnahmekönner im Tor. Als erster Europäer erhielt er die Vezina Trophy, die jährlich an den besten Torhüter der NHL vergeben wird. Seine Leistung zwischen den Stangen sicherten gleich zwei Dinge ab. Ein oranges T-Shirt, das er seit Jugendtagen unter der Tormannmontur trug und immer wieder zusammen genäht werden musste. Und ein Trink-Ritual. In jeder Pause ließ sich Lindbergh das schwedische Export-Lager “Pripps” in der Kabine kredenzen. Und zwar stets mit zwei Eiswürfeln, serviert von immer demselben Mitglied des Trainerstabs. Pelle Lindbergh verunglückte 1985 26-jährig mit seinem Porsche tödlich. 1,7 Promille. Seine Trikotnummer 31 wird seitdem bei den Flyers nicht mehr vergeben.

 

 

Thibaut Courtois: 

Zeit für einen dämlichen Kalauer. Unter den Fußballern sind es nicht selten die Tormänner, die scheinbar einen gröberen Schaden haben, das ist auch nicht verwunderlich, sie stehen ja mehrere Stunden zwischen Pfosten. Als pars pro toto für Goalies sei hier der belgische Tormann Thibaut Courtois genannt, der sich wirklich ein paar Spitzenrituale angeeignet hat.
Der 24-Jährige betritt vor einem Spiel immer zur selben Zeit den Gang in die Kabine. Dann wird pünktlich eine SMS an die Freundin verschickt, um ihr zu sagen, dass er sich jetzt Umziehen geht und sie bitte keine SMS mehr schicken soll. Warum er das Telefon nicht abdreht? Gleich wird man es erfahren. Aber zuerst geht es in die Umkleidekabine. Dort zieht der Tormann, der für Chelsea arbeitet, immer zuerst den linken Schuh und die linke Socken aus. Dann kommt der zweite Fuß dran. Schließlicht geht er aufs Häusl und macht ein Selfie von sich am Topf, das anschließend an vier belgische Fußballerkollegen gesendet wird. So wünschen sie sich gegenseitig Glück. Ob sich die fünf Freunde The Crap Pack nennen ist nicht überliefert. Danach geht es jedenfalls zum Aufwärmen aufs Feld. Aber nicht ohne zuvor die Spitzen der Handschuhe nass gemacht zu haben. Kurz vorm Start wird noch mal mit dem Fuß gegen die Torstangen getreten. Zuerst ist die rechte, dann die linke Stange dran. Am Schluss schlägt Courtois noch mit der Faust in die Tormitte. “Danach bin ich in Trance und niemand kann mich aus dem Gleichgewicht bringen.” Yeah.

 

Christiano Ronaldo: 

Beinahe harmlos was im Gegensatz CR7 so aufführt. Er zieht sich u. a. die Stutzen stets übers Knie. Streichelt vorm Spiel in einem Spiegel ein bisschen sein Haar. Besteht darauf Flugzeuge als erster und Busse als letzter zu verlassen – als Inbegriff des globalen Edelprolos will der Portugiese selbstfreilich einen Platz in der letzten Reihe. Ebenfalls wichtig: Den Fußballplatz muss Ronaldo immer mit dem rechten Fuß zuerst betreten.

 

An der Seitenlinie: 

Immer wieder mischen sich auch Trainer ins Geschehen ein. Wer jetzt Jogi Löw sagt, sagt auchPenis, Finger und Popo. Zu Unrecht! Ist es doch die feine Hülle gewesen, die die Deutschen siegen ließ: während der WM in Südafrika setzte Jogi auf seinen blitzblauen Schlumpfpulli aus Kaschmir. Die deutschen wurden Dritter und vier Jahre später in Brasilien, Löw trug stets dasselbe Hemd, dann Weltmeister.

Hans Krankl, dessen Trainerstärken ohnehin nicht im rational-erkennbaren Bereich lagen, veranlasste als Teamchef der österreichischen Nationalmannschaft eine Änderung der Heimdressen von Weiß/Schwarz auf Rot/Weiß. Offiziell weil er nie verstand, dass die Dress nicht mit der österreichischen Nationalflagge korrespondierte. Unbestätigten Gerüchten zufolge aber, weil man in, nona, Cordoba gegen Deutschland in Rot/Weiß/Rot spielte. Gebracht hat es dem Krankl nichts.

Die argentinische Trainerlegende Carlos Bilardo, ein König des Aberglaubens, hieß bei der WM 1990 in Italien seinen Torman Sergio Goycochea vor dem Elferschießen im Halbfinale noch schnell einmal auf den Rasen zu schiffen, weil das schon beim Elferschießen im Viertelfinale geholfen hat. Das Ritual behielt Goycochea bei. Vor jedem Spiel brunzte er, abgeschirmt von seinen Mitspielern, aufs Feld. Üblicherweise ließ er am Mittelkreis Wasser. Goldig!

Weniger goldig war, was den Midlands Portland Cement aus Zimbawe passiert ist. Ihr Trainer schickte sie zur rituellen Reinigung in den Zambesi River. Und zwar an eine Stelle, die sich durch starke Strömung und viele Krokodile und noch mehr Flusspferde auszeichnet. Resultat: 17 Spieler gingen ins Wasser, 16 kamen zurück und das nächste Spiel wurde auch verloren.